Leeve Lüüd!
Seit einigen Jahren läßt sich eine seltsame Entwicklung
feststellen, die bei den Lehrern zu steigender Resignation führt;
früherer Enthusiasmus scheint verflogen.
Nur eine berührt das überhaupt nicht. Und das ist Frau Kovacz,
unsere liebenswerte Musiklehrerin. Wenn jemand Power hat bis zuletzt, dann
sie.
Sie kämpft sich mit Begeisterung und viel Elan durch die Stunden
hindurch und hat mit eindringlichem 'allegro vivace' bei uns Akzente gesetzt.
Sie hat uns durch alle Musikepochen geführt und uns selbst den fremdklingenden
Bartók vertraut gemacht. Und wenn wir nach Kiel ins Opernhaus oder
in Kirchen 'moduliert' sind, hat sie wieder einmal bewiesen, wie perfekt
ihre Variationstechnik ist. Dann war sie keine 'Dominante' mehr, und wir
wurden zu einer 'polyphonen Einheit', in der jede Stimme gleichberechtigt
war. 'Dissonanzen' gab es bei uns nicht. Wir waren ein gemütliches
Kammmerorchester, in dem alle Instrumente aufeinander abgestimmt waren.
Allerdings gab es gewisse Eigentümlichkeiten in ihrer Melodielinie.
So ließ Frau Kovacz mit Pausendong (absteigender Dur-Dreiklang) zunächst
immer nur den 'Halbschluß' (moll) erklingen. Erst durch unser unruhiges
Kippeln auf dem Stuhl erreichten wir Minuten später den ersehnten
'Ganzschluß' im fröhlichen 'Dur'.
Außerdem waren die anspruchsvollen Klausuren 'tempo'-mäßig
fast nicht zu schaffen, so daß Frau Kovacz uns jedes Mal eine 'Fermate'
einbaute, die wir erbarmungslos ausdehnten. Trotz dieser kleinen 'Interruptionen'
in einzelnen 'Durchführungen' war das gesamte Stück ein individueller
Klassiker.
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